Leben am Horizont

Mit den Rädern in die Welt

Stillstand

5 Kommentare

Die Tuerkei wirkt wie fluessiger Zement auf unsere Reifen, der sich langsam verhaertet und unsere Raeder schliesslich unerbittlich festfriert.

Nach der fast unheimlichen Folge von Plattfuessen folgten einige unbekuemmerte Tage in Istanbul. Das buerokratische Ziel dieses Aufenthalts war die Abholung eines Pakets mit Ersatzbremsen, die wir bisher in keinem Radladen in Bulgarien oder der Tuerkei gefunden haben. Obwohl DHL versichert hat, ein Paket wuerde nach 4 bis 6 Werktagen eintreffen, hatte das ersehnte Paket noch nicht einmal die Tuerkei erreicht, als wir Istanbul nach 7 Werktagen wieder verliessen, um unsere Tagesausgaben zu reduzieren. Wir fuhren mit der Faehre ueber das Marmarameer nach Yalova, wo wir auf einem geschlossenen Picknickplatz kostenlos campen durften. Am naechsten Tag bin ich dort mit einer Erkaeltung aufgewacht, die uns fuer die naechsten 4 Tage in Yalova festhielt. Auskuriert ging es dann bei Schneeregen weiter in Richtung Bursa. Da wir bereits kurz vor Istanbul feststellen mussten, dass unsere teure atmungsaktiven Goretex Regenbekleidung im tuerkischen Dauerregen nicht dichthaelt, kauften wir uns kurz entschlossen billige Ponchos, die den Schweiss drinnen und den Regen draussen halten. Eingehuellt in die leutend gelben Regenmaentel ging es dann – mittlerweile im Schnee – von einer Tankstelle zur naechsten, wo wir „verrueckten Deutschen“ uns jedesmal aufwaermen durften und mit heissem Cay (Tee) versorgt wurden.

Am naechsten Morgen machte  sich der Bauch mit einem Grummeln bemerkbar, dem wir zunaechst keine grosse Bedeutung zugemessen hatten. Gutgelaunt und ohne Regen ging es weiter bis Mittag, bis ploetzlich solche Bauchschmerzen eintraten, dass wir nicht mehr weiterfahren konnte. Gluecklicherweise – so dachte ich zunaechst – war ganz in der Naehe ein Dorf, wo ich nach Unterschlupf suchen konnte, waehrend sich mein Mann auf einem Packsack sitzend ausruhen konnte. Ziemlich schnell war jedoch klar, dass es in dem Dorf keine Pension, Hotel oder aehnliches gab. Also begann ich nach einem Zeltplatz zu fragen. An dieser Stelle begann jedoch eine Sprachlosigkeit auf beiden Seiten, die sich mit einem einfachen Deuten auf ein Zelt und dem Word „kamp“ oder „kemp“ nicht ueberbruecken liess. Zuletzt wagte ich mich in eine der weit verbreiteten Caystuben, die typischerweise von aelteren tuerkischen Maennern in Beschlag genommen wird und versuchte es wieder mit kemp und auch mit einem Deuten in Richtung Strasse und „esch“, das so wie ich das verstanden habe „Ehepartner“ heisst. Zwei der Maenner begleiteten mich schliesslich zu Dennis, der mittlerweile soweit auf dem Damm war, dass er aufstehen und sein Rad bis zur Teestube schieben konnte. Dort wurde er vor den Ofen gesetzt und erstmal mit Cay versorgt. Eine Weile spaeter wurde eine Frau aufgetrieben, die englisch sprechen konnte und endlich konnten wir unser Anliegen ausdruecken. Wir erfuhren, dass wir sogar in dem leerstehenden Haus neben der Kneipe schlafen koennten, dass aber noch der Besitzer verstaendigt werden muesse. Erleichtert lehnten wir uns in unseren Stuehlen zurueck. Es begann eine lange Zeit des Wartens. Wir brauchten einen Schlafplatz und konnten uns nicht erklaeren, wieso alles so lange dauert. Immer wieder versuchte ich zu fragen, ob wir einfach vor der Teestube zelten durften und deutete verweifelt auf ein Bild von einem Zelt in unserem OhneWoerterBuch. Die Antwort des Teestubenbesitzers reimten wir uns so zusammen, dass wir aus unerfindlichen Gruenden noch bis zum Schliessen des Lokals um 18.00 warten muessen. Puenktlich um 18.00 traf die Jandarma ein und einer der Polizisten verkuendete an uns gerichtet in englisch, dass die Teestube um 18.00 Uhr schliesst. Ich war total entsetzt ueber diese 18.00 – Ueberraschung. Dennis raffte stoisch nochmal seine letzte Kraft zusammen und erklaerte seinen Zustand, worauf uns der Polizist versicherte, dass er uns helfen moechte. Kurz danach traf noch ein Deutscher ein, der zumindest ein wenig Licht in die Misere bringen konnte. Anscheinend war den Dorfbewohnern unwohl dabei, uns bei Temperaturen um den Gefrierpunkt in einem ungeheizten Haus uebernachten zu lassen, noch dazu da ich eine Frau bin (womit er nicht gemeint hat, dass Frauen besondere Frostbeulen sind). Das Schlafen in einem Zelt, das uns inzwischen ganz selbstverstaendlich zur Heimat geworden ist, war fuer die Dorfbewohner vollkommen inakzeptabel. Die „geniale“ Loesung der doerflichen Misere war unser Abtransport im Bus zum Busbahnhof nach Bursa. Schliesslich ist der Busbahnhof beheizt und dort koennten wir dann auf einer Bank schlafen. Die Polizisten in Bursa waren dann aber nicht ganz so hilfsbereit. Lachend verkuendete einer, dass die Hotels in der Naehe mindesten 130 Dollar die Nacht kosteten und die billigen Hotels 10 km entfernt in der Stadt laegen. Achja, und auf den Baenken schlafen sei nicht gestattet.

Nunja, zum Glueck hatte der Polizist nicht recht. Wir sind in einem teuren Hotel untergekommen, fuer 50 Euro die Nacht, zu dem sich Dennis noch hinschleppen konnte. Und hier warten wir darauf, dass Dennis wieder gesund wird und Montezuma sich wieder beruhigt. In Bursa wurde mir gluecklicherweise wieder ein sympatischeres Bild von den Tuerken vermittelt, als mich ein Radfahrer durch die ganze Stadt zu einem Radladen gefuehrt hat und mir dabei gezeigt hat, wie man sich als Radfahrer im tuerkischen Verkehr zurechtfindet. Im Radladen wurden dann mein Rad vom Schlamm der letzten Tage befreit, die Kette geoelt und ein Cay bestellt. Die Bremsen, nach denen ich mich umgeschaut habe, gab es dort zwar nicht, aber dafuer habe ich als Weihnachtsgeschenk neue Handschuhe fuer Dennis und mich gekauft, die hoffentlich tatsaechlich wasserdicht sind. Das Paket ist immer noch nicht in Istanbul, aber immerhin ist es bereits in der Tuerkei und wird zur Verzollung vorbereitet. Weihnachten feiern wir mit Minztee und Salzstangen in Bursa in einem luxorioesen Zimmer. Gar nicht so schlecht 🙂 Froehliche Weihnachten euch allen!

verfasst von Martina

5 Kommentare zu “Stillstand

  1. Ihr Lieben!

    Ich wünsche euch auch frohe Weihnachten…
    Ich hoffe, Dennis Bauch geht es wieder gut, meiner Erfahrung nach helfen Wärme von aussen und von innen, vielleicht sogar Fenchel, Anis und Kümmeltee, oder Kamillentee, da manchmal.
    Tapfer seid ihr zwei! Sicher geht es bald munter wieder weiter… 🙂 mit unterstützenden und erfreulichen Begegnungen mit Menschen, die freundlich sind. ‚Esch‘ heisst übrigens Ehepartner, habe nachgeschaut… ‚helfen‘ heisst yardim etmek und lütfen heisst ‚bitte‘, wie lüften.. 🙂
    Das verspätete Paket hat in meinen Augen den Vorteil, dass ihr etwas Ruhe und Erholung findet – besinnliche… Tut sicherlich euren Körpern auch mal gut.
    Ach ja.. hoffentlich hören wir wieder bald von euch!!!

    Bis dahin alles alles Liebe und Gute,
    ich denke an euch
    Babse

    • Ja, da kann ich nur zustimmen. Alles im Leben hat seinen Sinn. Und jeder sieht es halt aus einer anderen Perspektive. Außerdem habe ich keine Angst dass ihr verarmt.
      Wir sind Weltkartenmäßig immer bei Euch.
      Und nun,Augen zu und durch!!

      Die Münchner Mama

  2. Hallo ihr beiden, wir waren über Weihnachten in Gedanken bei euch. Gut, dass es dir nun schon wieder viel besser geht , Dennis!
    Nun seid ihr wohl wieder in Instanbul. Das Päckchen wird bestimmt in den nächsten Tagen in euren Händen sein.
    Macht´s gut und alle lieben Grüße von der ganzen Familie.

    Saskia und Renate

  3. Ihr Lieben!
    Ihr werdet nicht nur von Rubén und Marco sondern von ihren Freunden und Arbeitskollegen mit offenen Armen erwartet. Übrigens Frohe Weihnachten sagen in der Türkei „Noeler“ -so mein Türkisch-Lehrer. Nun also Mut, de Montezuma su überwinden: Ihr werdet die Welt mit Fahrrad erobern: „Noeler“. Papa.

  4. Hallo Martina und Dennis,
    mit großem Interesse haben wir eure Reise mitverfolgt und eure Berichte gelesen. Ihr habt ja schon viele Kilometer hinter euch und viel erlebt. Wir wünschen euch für das Neue Jahr weiterhin alles erdenklich Gute mit viel Freude, Glück und Gesundheit.

    Viele Grüße
    Annette und Roelof und Mareike und Sandra mit Familien

Hinterlasse einen Kommentar